Love and Hope

von Ute

Getreideschiff, du schaukelst im weichen Wind
im dunklen Blau des Schwarzen Meeres.
über dir funkeln Weihnachtssterne,
angeheftet an den nächtlichen Himmel.

So gleitest du dahin –

Doch dann steigt hinter dir weißer Rauch auf.
Sturmgewehre schießen Todessalut
durch die stille Nacht.

Wolken schieben sich über den Himmel,
um dich zu schützen.

Love and Hope –
Arche gegen den Hunger dieser Welt.

(c) 2022 Ute Taube

Der Weihnachtsschneemann

von Viktoria

Es war bereits der 3. Adventssonntag. Sonja und ihr Mann Frederik saßen im Wintergarten bei einer Tasse Weihnachtstee. Aus der Teekanne duftete es nach Zimt und Orangenschalen. Beide beobachteten ihre zwei Kinder, Laura sieben Jahre und Felix zehn Jahre alt. Sie tobten im Garten umher und kurz darauf begann eine lustige Schneeballschlacht.

„Freue mich schon sehr auf unseren Weihnachtsurlaub auf der Skihütte in den Lenggrieser Bergen“, sagte Sonja. „Das wird bestimmt auch den Kindern gut gefallen.“

Endlich war es soweit. Am nächsten Wochenende stand das frisch gewaschene Auto vor der Haustüre.

„Los alle einsteigen. Wir wollen doch nun alle endlich die Berge sehen“, sagte Sonja.

Nach einer Stunde Autofahrt fuhren sie dann nur noch einen kleinen Fahrweg hinauf zur Skihütte.

„Schau nur, dieser traumhafte Blick in die Bergwelt und die verschneite Landschaft! Die Skihütte wurde wirklich auf einem schönen Fleckchen der Erde gebaut“, sagte Frederik.

Die nächsten Tage verbrachte die Familie viel Zeit auf den Skipisten. Mit dem Skilift oder der Bergbahn hinauf zum Gipfel und auf den Skipisten wieder hinunter ins Tal.
Felix jubelte während der Abfahrt: „Mensch macht das Spaß. Das ist eine ries’n Gaudi.“
Papa Frederik meinte: „Du fährst diesen Winter schon viel sicherer, aber auch oft viel zu schnell. Übertreib es nicht!“
Sonja und Tochter Laura fuhren immer sehr gemütlich den Hang hinab.
An der Talstation trafen sich dann wieder alle um in der Mittagszeit mit einem Einkehrschwung in einer urigen Hütte.

Einige Tage vor Heilig Abend sagte Laura: „Papa, wir brauchen mal deine Hilfe.“

Laura, Felix und Papa Frederik setzten sich vor die Hütte auf die Bank.

„Ich geh dann schon mal in die Hütte und richte das Abendessen her“, sagte Sonja.

„Wir haben für Mama kein Weihnachtsgeschenk. Laura hat vergessen das Geschenk in ihren Koffer zu packen.“

„Ich glaube, es liegt zu Hause auf dem Schreibtisch in meinem Zimmer“, meldete Laura sich verlegen zu Wort.

„Uns drei wird schon noch etwas Passendes einfallen“, sagte Papa Frederik.

Alle drei tuschelten vor sich hin und hatten dabei richtig Spaß.

Endlich war Heilig Abend. Sonja hatte die Stube in der Hütte weihnachtlich geschmückt und die Geschenke bereit gelegt.
Laura, Felix und Frederik waren heute schon früh aufgestanden, um das Weihnachtsgeschenk für Mama Sonja zu bauen. Es sollte etwas Besonderes sein, nämlich ein wunderschöner Weihnachtsschneemann!
Über Nacht hatte es geschneit. Der pappige Neuschnee hatte genau die richtige Konsistenz zum Schneemann bauen. Alle drei formten kleine Schneebälle und rollten sie durch den Schnee und so wurden die Schneekugeln immer größer und größer.

„Auf die erste Schneekugel kommt eine zweite, etwas kleinere für den Körper und eine dritte für den Kopf“, erklärte Papa Frederik.
Dann stabilisierte Frederik noch die Übergänge der Kugeln mit Schnee. „So nun ist er fertig und steht fest und sicher“, sagte Frederik und klopfte sich die Handschuhe ab.

„Wir müssen ihn aber noch hübsch verzieren. Hier eine Karotte für die Nase“, sagte Laura.
Felix fügte hinzu: „Und hier noch kleine Kohlen für Augen und Mund.“

Laura hatte noch drei große, pinke Knöpfe für den Körper und eine alte Skimütze von Papa gefunden.
„Nun fehlt nur noch ein pinker Schal, damit der Weihnachtsschneemann nicht friert“, meinte Felix.

Schweren Herzens opferte Laura ihren eigenen pinken Schal. Aber das musste sein, als Buße für ihre Vergesslichkeit.
Laura legte noch eine Kette mit Sternchen und kleinen Kugeln auf den pinken Schal und sagte : „Sieht schon richtig festlich aus.“
Schweren Herzens opferte Laura ihren eigenen pinken Schal. Aber das musste sein, als Buße für ihre Vergesslichkeit.
Laura legte noch eine Kette mit Sternchen und kleinen Kugeln auf den pinken Schal und sagte : „Sieht schon richtig festlich aus.“

Papa Frederik steckte dem Schneemann noch ein paar Tannenzweige in den linken Arm und eine rote Kerze mit einem hellen LED Licht in den rechten Arm.

„So, nun ist unser schöner Weihnachtsschneemann fertig. Mama wird sich bestimmt freuen“, sagte er.
„Ich hol sie mal“, sagte Felix und rannte zur Hütte. „Komm schnell Mama, ich muss dir was zeigen.“
Sonja zog sich noch schnell eine Jacke an und ging mit Felix zu den anderen.

„Das ist unser Weihnachtsgeschenk für dich, ein Weihnachtsschneemann“, sagte Laura ganz stolz.

„Der ist euch aber wirklich gut gelungen. Er ist wunderschön und die Verzierung gefällt mir sehr gut. Die Überraschung ist euch echt gelungen“, sagte Sonja.

(c) 2022, Viktoria Sonblum

der Weihnachtsretter

von Kilian

„Ich bin Weihnachtsretter!“

„Weihnachtsretter?“, raunte Julia irritiert in ihr Mikrofon, das mit länglichem Kabel an einer Aufnahme-Box hing, die Erik ihr wie ein Lemming hinterher schleppte. Den ganzen Abend streifte sie bereits mit ihrem Interview-Kollegen über den kalten Weihnachtsmarkt der Vorstadt, schlappte durch wässrigen Schneematsch, und haute sich im Stundenrhythmus einen Glühwein nach dem anderen rein, um diesen Job zu ertragen.

„Mach mal hin“, raunte Erik von hinten, „gleich ist Schluss hier und ich will endlich heim!“

„Weihnachtsretter? Das ist ja etwas völlig neues …“ Julia klang genervt. Die junge brünette Frau ihr gegenüber trug einen schlichten Sportanorak, eine lässige Skater-Wollmütze, und schien sich einen Spaß mit ihr zu machen. Wahrscheinlich eine Influencerin.

„Ich mache hier eine Umfrage für unsere Radio-Morning-Show: Wie engagierst du dich in der Advents- und Weihnachtszeit für die Menschen?“, ratterte Julia ihren Standardspruch herunter.

„Weihnachtsretterin sagen sie? Ich bin gespannt, habe heute schon vieles gehört: Da war die rüstige Frau, Mitte fünfzig, die das ganze Jahr putzige Sockenwichtel strickt und auf den Weihnachtsmärkten feilbietet. Und um über die Runden zu kommen, an der Glühweinbude und auf der Wiesn mal warme und mal kalte Getränke unter die Menschen bringt. Sie sei glücklich, und wenn jeder so täte wie sie, ginge es allen gut. Wie können Sie davon leben? Das habe ich sie gefragt. Und was kommt als Antwort: Sie zahlt einfach keine Steuern, und dann wäre vieles möglich. Was für ein Engagement!“

Die Würstchenbude gegenüber kämpfte mittlerweile immer beharrlicher mit wärmendem Licht und Bratwurstdampf gegen den eiskalten Wind an. „Julia, bitte, der Akku ist gleich leer“, drängelte Erik, „die Kälte frisst sich unter meinen Mantel und ein Hosenbein ist schon steif gefroren. Jetzt mach‘ endlich das letzte Interview!“

„Ok, also sie sind Weihnachtsretter?“

Die junge Frau nickte und wippte dabei den bordeauxroten Kinderwagen, in dem ein kleiner Bube mit lockigen Haaren schlief.

„Klingt besonders. Aber wird die Geschichte anders sein? Heute hat mir ein kleiner untersetzter Mann erzählt, ohne ihn wäre seine Familie aufgeschmissen, nur er kann den Weihnachtsbaum in die Wohnung schleppen und akkurat aufbauen. Ohne seine besondere Fähigkeit wäre das Weihnachtsfest nur halb so schön. Selbstverständlich hält er sich aus allen Geschenkebesorgungen für die Kinder heraus, und stört auch die kulinarischen Weihnachtsvorbereitungen in keinster Weise. Er benötigt über Tage und Wochen die volle Konzentration für den Baum und die Familie muss es ihm danken, dass er ihnen in dem ganzen Weihnachtsgewusel nicht in den Füßen herumsteht. Nun, welche Geschichte kann das noch toppen?“

Schneefall setzte ein. Julia blickte entnervt nach oben. Auch das noch.

„Doch, ich bin Weihnachtsretter!“

„Ok, Ok!“, entwich es Julia, und gestützt vom erhöhten Promillegehalt, sprudelte eine weitere Anekdote hervor: „Einer vom Paketdienst bemerkte auf meine Frage, dass er das ganze Jahr umherhetzt, doch erst am Heiligabend als König wahrgenommen und mit Huldigungen überschüttet wird, wenn er das letzte heißersehnte Paket an der Haustür übergibt. Ist das zu glauben?“

„Ich bin Weihnachtsretter!“

Julia drehte es im Kopf. Übermüdet, überarbeitet, und mittlerweile übelst angetrunken. Sie blickte sehnsüchtig in den Sternenhimmel: Herr, bitte beende meinen Arbeitstag!

Als hätte jemand ihren Wunsch erhört, begann die Turmuhr die zehnte Stunde einzuläuten und alle Buden aufzufordern, in den Feierabend überzugehen. Lawinenartig und wie fallende Dominosteine schaltete eine Verkaufsbude nach der anderen ihre Lichter aus und klappte schwungvoll die Läden zu. Ihr Pfand bekam so manch Durstige heute nicht mehr zurück.

Mit dem letzten Glockenschlag drehte sich Julia wieder zu ihrer Weihnachtsretterin. Jetzt wollte sie endlich ihre Geschichte hören.

Doch wo vorher die junge Frau mit Kinderwagen stand, fand sie nur noch eine unberührte Schneedecke vor. Kein einziger Hinweis, dass dort überhaupt jemand stand.

Nach und nach verloschen auch die Lichter des großen Christbaumes vor dem Rathaus. Nur der Sternenhimmel spendete noch etwas Licht. Erik stand teilnahmslos hinter ihr, und sie hielt das Mikrofon wie versteinert in Richtung der besagten Stelle.

Dann wurde ihr schlagartig klar: Sie hatte die einmalige Chance verstreichen lassen, den wahren Weihnachtsretter und seine Mutter zu interviewen.

(c) 2022 Kilian Winter

Freundschaft

von Claudia

Neulich im Büchergeschäft, ich wollte mir eine Freude machen, suchte ich nach einem kleinen Buch mit Weihnachtsgeschichten. Ich war schier überwältigt von dem großen Sortiment an Büchern, Kalendern, Postkarten, Versbüchern rund um den Advent, Winter und Weihnachten. „Muss wohl eine große Nachfrage danach vorhanden sein“, dachte ich.

Ich stöberte eine ganze Weile, denn draußen war es nasskalt und ich hatte den Schirm vergessen. Auch Zeit hatte ich noch genug. Erst in einer Stunde war ich mit meiner Freundin Doris im Kaffee auf der anderen Straßenseite verabredet. Da fiel mir ein, dass sie bald Geburtstag hat, und spontan nahm ich das Buch „24 Weihnachtsgeschichten am Kamin“ mit. Ich wusste, sie und ihr Mann haben sich erst vor kurzem einen Kamin einbauen lassen. Ich fand, das Buch sei die passende Idee dazu. Ich habe es mit neutralem, schönem Geschenkpapier einpacken lassen. Für mich habe ich nichts mitgenommen. Sparsam sein, denn auch wir wollten uns einen Kamin einbauen lassen, er sollte kurz vor Weihnachten geliefert werden, und wir mussten ihn noch abbezahlen.

Es hatte aufgehört zu regnen und ich eilte zum Kaffee. Hätte ich doch beinahe die Zeit im Buchladen vergessen. Doris saß schon am Tisch.

„Silke, endlich bist du da, wir haben uns aber jetzt lang nicht mehr gesehen.“

„Stimmt“, antwortete ich. „Aber jetzt hat es endlich geklappt.“

„Was darf ich bringen, haben sie schon gewählt?“, fragte uns eine ältere Kellnerin.

Doris sagte: „Windbeutel und Kakao“, und ich: „Zweimal das Gleiche, bitte.“

„Sehr gerne, die Damen“, sagte sie und nahm die Karten wieder mit.

„Und wie ist es mit eurem neuen Kamin, bist du zufrieden?“

Doris sagte: „Wir hatten ihn erst zweimal an, war ja noch nicht so oft so kalt, aber ja, das ist eine großartige Wärme. Du kannst dich freuen. Ihr werdet bestimmt auch eine große Freude daran haben. Und übrigens habe ich dir etwas mitgebracht …“

Ich sagte: „Nein, ich habe dir etwas mitgebracht.“

Und wir gruschten in unseren Handtaschen herum, fast zeitgleich überreichen wir uns die Päckchen, die fast gleich aussehen.

„Ist das ein Buch?“

„Mach auf!“

„Jetzt oder an Weihnachten?“

„Jetzt“, sagte Doris.

Ich sagte: „Du packst das Geschenk erst an deinem Geburtstag aus, also am Freitag!“

Ich packte mein Geschenk aus und schmunzelte. Es war ein Buch.

„24 Weihnachtsgeschichten am Kamin“

„Doris, das ist eine liebe Idee. Danke, das gefällt mir sehr.“

Die Bedienung kam: „Zweimal Windbeutel und zweimal Kakao. Guten Appetit!“

Sie lächelte, als sie das Buch sah. „Das Buch ist klasse, ich habe es auch, denn mein Mann hat eine der 24 Geschichten geschrieben. Schön, dass Sie es gekauft haben.“

Dann lief sie wieder weg.

„Nein, was für ein Zufall“, sagte Doris.

„Die Welt ist klein“, sagte ich.

„Umso besser, wenn ich nicht die berühmten Autoren unterstütze, sondern unbekannte, die aus der Region kommen.“

„Ja, das finde ich auch.“

„Ach, Doris. Mach dein Geschenk doch auch schon jetzt auf, nicht erst am Geburtstag.“

„Nee, Silke, das bringt Unglück.“

„Schmarrn, jetzt mach auf! Ich habe dein Weihnachtsgeschenk auch schon aufgemacht.“

„Na gut, ich mach es auf.“

Doris und ich fingen lauthals zu lachen an, sobald zu erkennen war, dass es das gleiche Buch war.

„Wollen Sie ein Autogramm?“, fragte die Bedienung, die wie aus dem Nichts plötzlich neben uns stand. „Mein Mann ist gerade gekommen, um mich abzuholen.“

„Ach ja, sehr gerne, zweimal das Gleiche bitte“, sagte ich.

© 11/2021 Claudia Semmler

Wintersonnenwende

Peter

Mühsam stapft der alte Mann mit seinen Stöcken durch den Schnee den Berg hinauf. Ziemlich außer Atem rastet er schließlich auf einer Bank und schaut hinunter. Viele tausend Lichter funkeln da unten in der Stadt. Tausende Lichtfinger der Autoscheinwerfer signalisieren die Hektik des Feierabendverkehrs. Aber heroben übertönt das Rauschen des Waldes im leichten Wind den Lärm der Stadt.

Der alte Mann erinnert sich: Vor 65 Jahren war er hier oben zur Wintersonnenwende. Damals waren es sehr viel weniger Lichter da unten und kaum Autos. Nur der Schnee, der schweigende Wald und der Sternenhimmel waren die gleichen. Fünfzehn Mädchen und Burschen einer Jugendgruppe. Fröhlich schnatternd waren sie los gezogen, aber in der Stille des verschneiten Waldes wurden sie immer leiser.

Sie suchten eine geeignete Tanne, befreiten die Äste von Schnee und jeder steckte seine Kerze auf. Sie standen rund um den Christbaum. Horst stimmte seine Gitarre und fünfzehn Stimmen sangen:

„Hohe Nacht der klaren Sterne,
Die wie weite Brücken stehn
Über einer tiefen Ferne,
D’rüber unsre Herzen geh’n….“

und

„Wahre Freundschaft soll nicht wanken,
wenn sie gleich entfernet ist;
lebet fort noch in Gedanken
und der Treue nicht vergisst….“

Gundi erinnerte kurz an die vielen gemeinsamen Erlebnisse: die Wanderungen und Fahrten, die Nächte im Zelt, in Hütten oder im Heu, das gemeinsame Singen, Tanzen und Diskutieren über ihre Lebenspläne.

Zum Schluss reichten sie sich wie immer die Hände:

„Nehmt Abschied, Brüder,
ungewiss ist alle Wiederkehr,
die Zukunft liegt in Finsternis
und macht das Herz uns schwer.
Der Himmel wölbt sich überm Land.
Ade, auf Wiederseh’n!
Wir ruhen all in Gottes Hand.
Lebt wohl, auf Wiederseh’n!…“

Der alte Mann auf seiner Bank grübelt: Wo mögen sie heute sein? Was ist aus ihnen geworden? Wer lebt von ihnen noch? Ob es heute noch solche Jugendgruppen gibt? Es war eine jahrelange, enge Kameradschaft mit Liebeleien und Liebeskummer, großen Plänen und Zweifeln. Allmählich begann der Ernst des Lebens: Sie wurden Mütter und Väter, Busfahrer, Sekretärinnen, Professoren, Magistratsangestellte und Versicherungskaufleute. Sie verteilten sich bis nach Amerika und Australien. Mit den Jahrzehnten wurden Ihre Lebenswelten immer verschiedener, die Besuche und die Briefe seltener, immer mehr Verbindungen rissen ab. Einige sind schon tot.

Dem alten Mann wird kalt. Er geht nach Hause, immer schneller: zu seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln – in die Zukunft.

(c) 2022 Klaus-Peter Schubert

Onkel Albert

von Gertraud

Dem Onkel Albert ist drei Tage vor Weihnachten die Frau weggelaufen. Sie hat ihre Sachen und das Kind gepackt und ist zurück zu ihrem Vater. Nicht, dass das weit weg war. Nur fünf Häuser. Mein Onkel hat meinen Vater hingeschickt, er solle mit ihr reden.

„Und?“, fragte Mama, als der Babba wieder heimkam.
„Diesmal ist es endgültig, hat sie gesagt.“
„Meinst wirklich?“
„Ich glaub schon. Die ist so stur wie ihr Vater.“
„Und der Albert?“
„Er sagt, dann erschießt er sich.“
„Hat der seine Pistole noch?“
„Ja, hat er. Kennst ihn ja.“

Onkel Albert war Grenzer. Damals gab es viele Grenzer oder wie man heute sagt Zollbeamte. Die einen patrouillierten an der Saalach entlang, denn das war NATO-Grenze zum feindlichen Österreich, die anderen standen an der Grenzstation und kontrollierten die Ausweise. Die Pistolen hatten sie, um die Schmuggler aufzuhalten. Geschmuggelt wurde damals viel. Einmal hat ein Grenzer einen Mann angeschossen, der durch die Saalach gewatet ist. Alle Leute waren empört. Denn der hat gar nichts geschmuggelt, sondern nur seinen Ausweis vergessen gehabt.
Mittlerweile war Onkel Albert im Innendienst. Seine Pistole hatte er einfach nicht abgegeben.
Weil der Babba wirklich Angst hatte, dass der Onkel Albert sich erschießt, hat er ihn am Heilig Abend zu uns geholt. Wie der Albert seinen Mantel ausgezogen hat, hat der Babba gemerkt, dass er die Pistole in der Manteltasche hat.

„Die Pistoln bleibt im Auto!“, sagte die Mamma. „Wir haben hier Kinder. Bring die Pistoln hinaus.“

Murrend brachte Albert die Pistole in die Garage.

Dann gab es Essen: Würstl und Kartoffelsalat. Onkel Albert war schon ziemlich angedudelt, deswegen gab es für ihn nur Limo zu trinken.

„I ko nix essn“, sagte er.
„Du isst jetzt was!“, befahl der Babba.
„I ko ned“, erwiderte Albert mit Tränen in den Augen.
„Du isst, dann gehts dir glei besser.“

Mamma gab ihm ein Würstl und einen Löffel Salat. Mit angewidertem Gesicht biss Albert in das Würstl. Dann war es – schwupp – weg und er nahm sich noch eins. Und noch eins. Meine beiden Brüder schauten ihm mit großen Augen zu.

„Jetzt kannst mir ein Bier geben“, sagte er zum Babba.
„Du hast heut schon genug Bier gehabt.“
„Jetzt hab ich aber eine Unterlage.“
„Nichts da.“
„Geh weida, ein Bier noch, das geht doch.“

Also ging Babba in den Keller und holte zwei Flaschen Bier, eine für Albert und eine für sich.

Dann warteten wir auf die Bescherung. Wir Kinder mussten singen. Der Onkel sang mit, das war so schrecklich, dass wir gleich wieder aufhörten. Der Babba öffnete die Tür zum Wohnzimmer – drin war es dunkel – und schlüpfte hinein. Wir hörten ihn rascheln und brummen und mit jemandem reden. Dann endlich klingelte das Glockerl! Wir durften hinein. Drin stand der Christbaum, hell beleuchtet mit der neuesten Erfindung: elektrischen Kerzen! Drum herum lagen die Geschenke. Ich bekam Ski, weil ich im Februar ins Skilager fahren sollte, Skischuhe und Socken, einen dicken Pullover und drei neue Unterhosen. Zuunterst endlich das ersehnte Geschenk: ein Buch von Enid Blyton. Ich zog mich in ein Eck zurück und begann sofort zu lesen. Mein größerer Bruder hat den „Lederstrumpf“ bekommen. Den würde ich als nächstes lesen, dann, wenn er mit seinem neuen Märklin-Kasten beschäftigt war. Der Kleine schob sein rotes Auto durchs Zimmer.

Auch für den Onkel hatte der Babba auf die Schnelle noch Geschenke besorgt: eine Krawatte und ein Paar Socken. Onkel Albert machte ein riesiges Gedöns um die Krawatte, wie schön die wäre, und wie schön er selber wäre mit dieser Krawatte und dass eine Krawatte das einzige Kleidungsstück wäre, das ein Mann brauchen würde. Ja, Socken auch. Aber zwischen Socken und Krawatte nichts.

Dann holte Babba den Sekt herein, den er draußen kalt gestellt hatte. Mamma stellte die Sektgläser bereit.

„Gib her“, sagte Onkel Albert, „den mach ich auf.“

Der Korken schoss heraus und ein Strahl Sekt hinterher bis an die Zimmerdecke. Roter Sekt! Hat der Babba extra für die Mamma gekauft. Der Babba riss ihm die Flasche aus der Hand und goss die Gläser voll.

„Ich mag eh keinen“, sagte Albert. „Sekt saufen nur die Weiber.“

Aber ich bekam ein halbes Glas.

„Wie alt ist denn die Trudi?“, fragte Albert. „Was? Schon 16! Da wird es ja Zeit. Hast du schon einmal, Trudi?“

Dabei schaute er mich so komisch an.

„Lass die Trudi in Ruhe“, knurrte der Babba. Aber Albert war schon in Fahrt.

„Am besten wäre es ja für die Trudi, wenn ein erfahrener Mann, also, nicht so ein Halbstarker, sondern ein Mann, der was davon versteht, von Frauen versteht, mein ich, also, wenn so ein Mann…“
„Schluss jetzt“, sagte der Babba. „Die Trudi lässt du in Ruhe.“
„Ich mein es doch nur gut mit ihr.“

Die Mamma nahm mich auf die Seite: „Am besten du verschwindest jetzt ins Bett. Und sperr dein Zimmer zu!“
Das tat ich dann auch. Das Buch habe ich dann gleich ausgelesen im Bett.

Am nächsten Morgen lag der Onkel auf dem Kanapee im Wohnzimmer. Er schaute fürchterlich aus: rote Augen, die Haare hingen ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht, sein Hemd und seine Hose waren zerknittert, weil er darin geschlafen hatte.

„Steh auf“, sagte der Babba, „wasch dich und richt dich ordentlich her.“
„Erst brauch ich einen Kaffee.“
„Der läuft schon durch“, sagte die Mamma. „Bis du gewaschen bist, ist er fertig.“
„Ich warte lieber.“
„So setzt du dich nicht zu uns an den Tisch.“

Er zog ab ins Badezimmer.

Muss den die Tante jeden Tag so anschauen in der Früh?, überlegte ich. Kein Wunder, dass sie weggelaufen ist.

„Ich kann schon verstehen, dass die Roswitha ihn nicht mehr mag“, sagte ich zur Mamma.
„Ich auch. Aber das war nicht der Grund, warum sie weggegangen ist.“
„Sondern?“.

Sie kam nicht dazu, mir das zu erklären, weil der Babba wieder in die Küche kam. Aber ich konnte es mir schon denken. Der Albert hatte wahrscheinlich wieder eine Liebschaft nebenher.
Zum Frühstück gab es heute etwas Besonderes: einen Pfirsichkuchen mit Pfirsichen aus der Dose, mit Tortenguss festgepappt auf einem goldgelben Kuchenboden. Der Onkel wollte nichts davon, trank nur Kaffee.

„Fahr mich jetzt heim“, verlangte er dann.
„Willst nicht zum Mittagessen bleiben?“
„Nein, ich muss heim.“
„Dann kannst du uns in die Kirche mitnehmen im Auto“, jubelten meine Brüder.

Wir quetschten uns auf die Rückbank.

„Wo ist meine Pistol`n?“, fragte Albert, als wir grad losfuhren.
„Die bleibt bei mir“, sagte der Babba.
„Das geht nicht. Du hast keinen Schein.“
„Das ist mir egal.“
„Ich brauch meine Pistol´n wieder.“
„Du musst die ja schnellstens abgeben.“
„Jaja, mach ich gleich am Dienstag.“
„Versprochen?“
„Ich schwöre es,“ und er hob die Hand.

Also stieg der Babba wieder aus und holte die Pistole aus dem Versteck im Hühnerstall.

Vor der Kirche ließ uns der Babba aussteigen.

„Du könntest auch einmal wieder in die Kirch` gehen“, sagte der Babba zum Albert.
„Ach, du weißt ja, ich hab eine andere Kirche, da geh ich jetzt dann hin. Aber erst muss ich mich sauber anziehen und rasieren.“

„In welche andere Kirche geht denn der Onkel?“, wollte mein kleiner Bruder wissen, als wir über den Platz vor der Kirche gingen. Der Platz war voller Männer. Denn die gehen erst zur Predigt in die Kirche hinein. Oder noch später und dann gleich als erste wieder hinaus und zum Wirt.

„Das verstehst du noch nicht“, sagte mein größerer Bruder.
„Und da braucht er die Pistol`n?“

(C) 2022 Gertraud Schubert

Der Weihnachtsvogel

von Michael

(Dialog eines schon älteren Ehepaares)

Die zwei sitzen am Frühstückstisch vor ihrem gemeinsamen Schokoladen-Adventskalender.

Sie: Jetzt mach scho das Türl auf. Heit bist du dran und morgen wieder i.

Er: Na guat, dann schau ma nach. Aha, a Vogerl!

Sie: Mei liab!

Er: A so ein Schmarrn.

Sie: Wieso Schmarrn, is doch goldig.

Er: Ein Vogerl hat doch übahaupts nix mit Weihnachten zum doa.

Sie: Aber für die ist’s im Winter fei a oft hart, was zum Fressn zu finden.

Er: A geh, Weihnachten, des is ein Stern, ein Nikolaus, ein Schneemann, eine Kerze, ein Tannenbaum, ein Tannenzweig, ein Schlitten — solches Zeugs halt.

Sie: Ja, scho, aber des muass halt auch schon zum Tag passen. Ein Nikolaus am 17. Dezember is bläd.

Er: Nacha is a halt der Weihnachtsmann.

Sie: Den kenn i net, i kenn nur den Nikolaus oder das Christkind. Und die heiligen drei König’.

Er: Die kemman doch erst nach Weihnachten, also können’s davor doch nicht drin sein.

Sie: Derf ma also nur so Zeigl eini doa, des vor Weihnachten vorkommt?

Er: Genau, so ist es.

Sie: Was is dann mit … mit … ana Bodhosn? Deaf ma a Bodhosn einidoa?

Er: Des is gar ned so bläd, weil des macha fei vui, dass a im Winnter zum Schwimma gengan.

(c) 2022 Michael Fromholzer