Leseproben

diese Kurzgeschichte wollte ich für den Wettbewerb des VFR einreichen, hab aber das Abgabedatum verpasst.

There is nothing I can do

Von Gertraud Schubert

 

Sie konnte nicht schlafen. So wühlte sie sich aus ihrem Schlafsack und hangelte sich durch die Module bis zur Kuppel. Dort fixierte sie sich mit einem Karabiner und schaute hinaus.

Sie befanden sich gerade auf der Nachtseite der Erde. Es war kühl und dunkel. Aber ein heller blauer Halbring kündigte schon den Eintritt ins Sonnenlicht an.

»I’m sitting in a tin can, the earth is blue and there is nothing I can do«, summte sie vor sich hin.

Noch 6 Tage bis zur Rückkehr auf die Erde. Morgen würde das Shuttle anlegen und drei Neue bringen, Wong und Shimo und Andrea. Chris, Jim und Bonnie würden ihre Plätze einnehmen für die Rückkehr.

Zurück zur Erde. Einfach gehen statt sich an den Haltegriffen entlang zu hangeln. Keine blauen Flecken mehr, wenn man nicht rechtzeitig abbremste und gegen ein Hindernis knallte. Oder den Durchlass streifte. Essen von Tellern und mit Messer und Gabel statt Brei aus der Tüte. Durchs Gras laufen, das Rauschen der Bäume, und vor allem: Baden. Genügend Wasser, Wasser zum eintauchen, Wasser zum Untertauchen, Wasser ringsum. Es war zwar schon September und die Nächte waren kühl, der See war höchstens 18 Grad warm – aber es musste sein und wenn es nur für ein paar Minuten war: hinein springen, untertauchen, schweben, auftauchen, schwimmen, Tropfen auf der Haut, frieren. Ja, auch frieren war schön. Hier war es immer zu warm.

 

Inzwischen waren auch die anderen aufgewacht. Bill kontrollierte seine Bakterienkulturen. Der Duft von frisch aufgebackenen Brötchen stieg zu ihr herauf. Sie warf noch einen Blick durch die Scheiben auf den Planeten: eine dichte Wolkenschicht über Europa. Regen und Nebel – sie wischte den Traum hinweg, klickte den Haken aus und stemmte sich durch die Luke in das Hauptmodul. Zeit für ihre Trainingseinheiten auf dem Fahrrad, damit ihre Muskeln nicht noch mehr schrumpften.

 

Wong, Shimo und Andrea schwebten durch die Andockschleuse. Voller Begeisterung drehten und streckten sie sich in der Schwerelosigkeit. Shimo umarmte alle, Wong war zurückhaltender und versuchte, sich zu verbeugen. Was ihm einen unfreiwilligen Purzelbaum und Gelächter einbrachte. Andrea gab allen die Hand und lächelte. Dann wurde ausgepackt. Shimo hatte weißen Rum aus Haiti mitgebracht, Wong grünen Tee. Und Obst! Frisches Obst! Bonnie schnappte sich einen Apfel. Das war unfair: In einer Woche konnte sie so viele Äpfel essen wie sie wollte – aber sie konnte nicht widerstehen.

Die neuen Antriebsmodule mussten montiert werden. Sie wurden mit dem Kranarm aus dem Shuttle gehoben und zur vorgesehenen Stelle geschwenkt. Chris stieg in seinen Raumanzug und machte sich für den Ausstieg fertig. Shimo wollte unbedingt mit. Aber Bill bestand darauf, dass es aus ärztlicher Sicht noch zu früh war.

Zwölf Stunden später waren die beiden Vasimr-Triebwerke montiert und mit der Elektrik der Station verbunden. Nun konnten sie sich aus eigener Kraft auf eine höhere Umlaufbahn heben, vorausgesetzt, die Spannung war hoch genug. War sie aber nicht. Die Solarzellen waren zu heiß. Also warten bis zum kühlenden Durchlauf durch den Erdschatten.

Dann endlich war es so weit. Der Lärm der Gradientenspulen war ohrenbetäubend. Die Raumstation vibrierte, ruckte und bockte – und schon wieder abgeschaltet. Die Raumstation hatte sich keine 50 m gehoben statt der erwarteten 300. Aber es war ja auch der erste Testlauf. Jim, der Techniker kontrollierte die Aufzeichnungen. Die Kontrollstation auf der Erde schaltete sich auf.

»Bestimmt ist wieder die Heliconsection zu warm. Die supraleitenden Magneten liefern dann nicht genügend Feldstärke zur kompletten Ionisierung«, erklärte Shimo.

Wong unterbrach ihn: »Dann testen wir die Geräte im Nachtbereich. Da sind sie bestimmt nicht zu warm.«

Aber Shimo war nicht zu stoppen. »Oder die ICH, die Ion Cyclotron Heating ist nicht richtig in Resonanz. Möglicherweise ein Einfluss der fehlenden Gravitation.«

Der Kommandant winkte Bonnie herbei.

»Du hast doch auch im Vasimr-Labor gearbeitet. Was meinst du?«

»Dass ich nicht lache! Das ist doch mindestens ein halbes Jahr her«, fuhr wieder Shimo dazwischen, »oder länger. Was denkst du, was wir in dieser Zeit alles umgebaut und verändert haben. Das ist work in progress, meine liebe Bonnie. Da siehst du, entschuldige, ziemlich alt aus mit deinem Wissen vom Vorjahr.«

 

Nach mehreren Stunden – Wong und Shimo schwebten den Gang auf und ab und diskutierten ihre Theorien – kam die Techniker auf der Erde zu dem Schluss, dass die Magneten an der Austrittsöffnung neu justiert werden müssten. Das war die Stunde von Shimo! Er wollte hinaus in den Weltraum und sofort den Fehler beheben.

»Männer«, sagte Chris, der Kommandant, »ihr habt jetzt 6 Monate Zeit, um euch damit zu spielen. Es muss nicht alles heute sein.« Aber sie waren nicht zu bremsen. So stimmte er schließlich dem Ausstieg von Shimo in Begleitung von Chris zu. Bonnie half ihnen, die Raumanzüge anzulegen und geleitete sie zur Schleuse. Bill überwachte die Vitalfunktionen.

Bonnie hatte ein ungutes Gefühl. Nein, Shimo war zwar Neuling, aber Chris war erfahrener Raumpilot, beruhigte sie sich. Chris hatte mehrere Außeneinsätze absolviert. Er würde auf Shimo aufpassen. Eigentlich die optimale Konstellation. Trotzdem – sie checkte ihren Raumanzug durch, damit er für alle Fälle bereit war. Und das war das Glück – für Chris. Als der Alarm rasselte, war Bonnie im Nu im Anzug zog sich in die Schleuse.

Niemand hatte gesehen, was wirklich passiert war. Chris zerrte den reglosen Shimo in die Schleuse, wo ihm Bonnie zu Hilfe kam. Shimos Raumanzug war auf einer Seite verbrannt. Offensichtlich war er mit dem heißen Auslass-Ventil in Berührung gekommen.

Luft zischte in die Schleuse. Sie nahmen den Helm ab – Shimo atmete nicht mehr. Bill begann mit künstlicher Beatmung und Herzdruckmassage, während sich Bonnie daran machte, die verkohlten Anzugteile zu lösen. Da kollabierte Chris. Bonnie ließ von den Verbrennungen ab und kam Chris zu Hilfe. Während der ganzen Zeit saßen Wong und Andrea am Kommunikator, um mit den Technikern in Oberpfaffenhofen die Daten durchzusprechen. Genau in dem Moment rief er ihnen zu: »Das Triebwerk ist so eingestellt, dass es nur wenig Schub gibt. 50 m mehr Höhe sind völlig in Ordnung. Erst beim nächsten Testlauf werden wir mehr Xenon einspeisen.« Dann sah er das Chaos hinter seinem Rücken und kam ihnen zu Hilfe. Gemeinsam gelang es schließlich, Chris zu stabilisieren. Aber Shimo war nicht mehr zu helfen.

 

Bonnie saß in der Kuppel und schaute dem entschwindenden Shuttle nach, das Chris, Jim und Shimo zur Erde zurück brachte. In drei Monaten würden zwei neue Astronauten sie und Bill ablösen. Bis dahin war sie Commander Bonnie und musste Wong beim Test der Vasimr-Triebwerke assistieren.

Drei weitere Monate auf Station. Wenn sie zur Erde zurückkehrte war Januar, lag Schnee, war der See zugefroren. Sie würde in die Karibik fliegen, nahm sie sich vor. Türkises Wasser, weiße Schaumkrönchen, die an den Strand liefen. Der Duft von Frangipani, wenn sie auf der Terrasse in der Hängematte schaukelte. Blau leuchtete der Atlantik durch das Fenster, über Europa lag eine Wolkendecke.

»The earth is blue«, summte Bonnie, an there is nothing I can do.«

 

Danke an Chris Hadfield für die Inspiration.

Gertraud Schubert

 

 

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